Gaia Games: Spielbare Simulationen der Erde

Ende der 1960er Jahre ging ein Foto unserer Erde um die Welt: Aufgenommen während des Fluges von Apollo 8, zeigt Earthrise die aufgehende Erde über dem Horizont des Mondes. Die Darstellung des blauen Planeten ist seitdem fester Bestandteil innerhalb der Popkultur. Auch in digitalen Spielen kommt sie immer wieder direkt oder indirekt vor. Sie gilt als Sinnbild für die Einheit unserer Welt über alle Unterschiede und Grenzen der Menschen hinweg – einer Welt, die uns aufgrund ihrer Lebendigkeit und Vielfalt als besonders schützenswert gilt. Die Klimakrise macht uns heute mehr denn je auf die Schutzbedürftigkeit unseres Planeten aufmerksam.

Damit zusammen hängt die Vorstellung von der Erde als ein großes dynamisches System aus ineinander greifenden Kreisläufen, die durch den Einfluss des Menschen gefährdet sind. Ein entscheidendes Momentum, das diesem Konzept Auftrieb verlieh, war der Einsatz von Computertechnologie seit den 1950er Jahren. Dank der Großrechner in den amerikanischen Universitäten war es erstmals möglich, komplexe Simulationen des Erdsystems zu erstellen.1 Von dort aus lässt sich ein Bogen spannen bis zu heutigen Simulationen der Erde, die nicht nur bestimmte ökologische Entwicklungen berechnen, sondern diese auch bis zu einem gewissen Grad ‚spielbar‘ machen. Sie bewegen sich damit in einem Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Simulation und Computerspiel – und verraten dabei zugleich viel über das menschliche Verhältnis zu seiner natürlichen Umwelt.

Frühe Simulationen der Erde zeigen, wann das Gleichgewicht zusammenbricht

Ein erster Versuch, die Erde zu simulieren, war das Programm World 1 von Jay Wright Forrester, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Für die Erstellung seiner Weltsimulation griff dieser auf das Konzept der Systemdynamik zurück, mit dem er zuvor die dynamische Situationen in Industrien und Städten berechnete.2 Zwar war die Datenlage in den 1950er Jahren zu einzelnen Faktoren lückenhaft, doch machte World 1 bereits eines deutlich: Das Wachstum der kapitalistischen Wirtschaftsweise würde durch seinen rücksichtslosen Verbrauch natürlicher Ressourcen und die steigende Umweltverschmutzung das Gleichgewicht des Planeten zum Einsturz bringen. Beeindruckt durch diese Erkenntnis griff ein Team rund um Forresters ehemaligen Studenten Dennis Meadows den Ansatz von World 1 auf und schuf komplexere und präzisere Nachfolgemodelle. Schließlich veröffentlichte die Gruppe 1972 ihre von der Nachhaltigkeitsorganisation Club of Rome beauftragte Studie Die Grenzen des Wachstums. Der Studie gelang es, die Aufmerksamkeit eines Massenpublikums zu erlangen.3

Strukturelle Ähnlichkeit zu Forresters Weltsimulation hatte auch das Computerprogramm Daisyworld von 1983. Am Beispiel dieser Simulation wollte der britische Wissenschaftler und Umweltschützer James Lovelock aufzeigen, wie das selbstregulierende System der Erde funktioniert und wann es aus den Fugen gerät:4 Auf dem erdähnlichen Planeten Daisyworld wachsen ausschließlich Gänseblümchen (Daisies) mit entweder schwarzen oder weißen Blüten, die das Licht der Sonne entweder absorbieren oder reflektieren. Verändert sich die Strahlungsintensität der Sonne, passt sich die Population der Gänseblümchen so an, dass ein Temperaturgleichgewicht auf dem Planeten entsteht. Übersteigt die Temperatur aber die Regulationskraft der Gänseblümchen, bricht das Gleichgewicht in sich zusammen.

Gaia lässt sich mit einem Computer vergleichen, der allerdings nicht über einen zentralen Prozessor verfügt.

Lovelock veröffentlichte Daisyworld, um die Gaia-Hypothese zu stützen, die er in enger Zusammenarbeit mit der Evolutionsbiologin Lynn Margulis Mitte der 1970er Jahre entwickelte. Die Gaia-Hypothese beschreibt die Erde als eine Art großen biologischen Organismus. Bei ihrer Formulierung griff Lovelock auf die Kybernetik zurück – ursprünglich die Wissenschaft zur Steuerung und Regelung von Maschinen. Aus diesem Grund lässt sich Gaia auch mit einem Computer vergleichen, der allerdings nicht über einen zentralen Prozessor verfügt.5 Stattdessen entstehen Gaias Informationsprozesse aus der Wechselwirkung ihrer Subsysteme. Über Rückkopplungsschleifen sorgen diese für die Selbstregulierung der Erde, um den kontinuierlichen Fortbestand des Lebens zu gewährleisten.

SimEarth: Die erste spielbare Simulation der Erde

Sowohl Forresters Systemdynamik als auch Lovelocks kybernetische Beschreibung des Erdsystems und ihre jeweiligen computergestützten Simulationen faszinierten und inspirierten einige Jahre später den noch jungen amerikanischen Spielentwickler Will Wright. Angeregt durch Forresters Industrie- und Stadtmodelle schuf er schließlich seine erste Version der Stadtsimulation SimCity (1989).6 Im Anschluss ging Wright noch einen Schritt weiter und wandte sich für sein nächstes Projekt an James Lovelock persönlich. Und tatsächlich gelang es ihm, den britischen Wissenschaftler als Berater für die Entwicklung seines neuen Spiels zu gewinnen. So folgte ein Jahr später, basierend auf den Grundannahmen der Gaia-Hypothese, die erste spielbare Simulation der Erde: SimEarth (1990).

Manipulation von Paramatern des Biosphäre-Modells in SimEarth (Bildquelle: eigener Screenshot)

Zwar hatte Lovelock mit Daisyworld – wovon Wright auch eine spielbare Version als extra Modus in sein Spiel integrierte – bereits eine einfache Computersimulation für die Selbstregulierung des Erdsystems geschaffen. Doch Wright wollte eine möglichst umfassende Simulation der Erde und ihrer Subsysteme. So beinhaltet SimEarth systemdynamische Modelle zur Geosphäre, Hydrosphäre, Atmosphäre und Biosphäre des Planeten. Als fünftes Modell kommt die Zivilisation hinzu. Über Bedienfelder lassen sich bestimmte Parameter der einzelnen Modelle verändern – also etwa die Reproduktionsrate aller Lebewesen innerhalb der Biosphäre.

Alle Modelle wirken auf ein Raster mit 128 horizontalen und 64 vertikalen Kacheln. Die Karte, mit der man als Spieler:in interagiert, ist die visuelle Darstellung dieses Rasters. Ein Seitenmenü erlaubt die Auswahl unterschiedlicher Befehle, mit denen man die einzelnen Kacheln manipulieren kann, was dann wiederum Auswirkungen auf die Nachbarkacheln und schließlich das gesamte System hat.7 Erschafft man z.B. einen Vulkan, erzeugt dieser neue Landmassen und Flutwellen um sich herum. Durch seine Emissionen heizt er zudem das Erdklima kurzfristig an, was weitere Folgen nach sich ziehen kann.

Die Simulation von Gaia bringt eine grundlegende Spannung zum Ausdruck

SimEarth steht auf den ersten Blick in der Tradition sogenannter God Games oder Göttersimulationen. Dabei handelt es sich um ein Subgenre von Strategiespielen, das seine Spieler:innen mit ‚göttlicher Macht‘ ausstattet, mit der diese direkt oder indirekt Einfluss auf die simulierte Welt im Spiel und deren Bewohner:innen ausüben können.8 In diesem Sinne scheint SimEarth ein gewisses Kontrollphantasma zu bedienen: Die Welt als ein Objekt, das man gottähnlich manipulieren kann.

Doch lässt sich die Erde in SimEarth nur bis zu einem gewissen Grad kontrollieren, da sie durch ihr dynamisches Raster ständig mit unvorhersehbarem Verhalten überrascht.9 Vielmehr erlebt man sie als ein Wesen mit eigenem Willen – ein Wesen, das Lovelock auf der Suche nach einer geeigneten Metapher für seine Hypothese auf den Namen einer griechischen Göttin taufte: Gaia. SimEarth bringt damit eine grundlegende Spannung zum Ausdruck – die Spannung zwischen einer erhabenen Natur, der die Bedürfnisse des Menschen völlig gleichgültig sind, und dem Wunsch ihrer totalen Beherrschung und Kontrolle. Folgt man dem französischen Soziologen und Philosophen Bruno Latour, ist diese Spannung in der Gaia-Metapher selbst angelegt. Denn in der Erzählung des antiken griechischen Dichters Hesiod erscheint Gaia als eine widersprüchliche Figur – nicht nur als eine Macht der Schöpfung, sondern auch der List und Gewalt.10

Die Gaia-Metapher passt nicht in die modernistische Vorstellung von einer kontrollierbaren Natur.

Ähnlich wie die Gaia-Metapher, so Latour weiter, sei auch die Hypothese von Lovelock verflucht: Sie passe nicht in die modernistische Vorstellung von einer kontrollierbaren Natur, obgleich Lovelock seine Hypothese unter dem Einfluss der Kybernetik entwickelte. Zwar sei Gaia eine gewisse Ordnung zu eigen, aber es gebe keine erkennbare Hierarchie, die diese Ordnung aufrecht erhält. Das System der Erde reguliere sich vielmehr dadurch selbst, dass jedes Lebewesen aus Eigennutz um sein Überleben kämpft und damit seine Umgebung beeinflusst.11 Latour spricht in diesem Zusammenhang von einer „verteilten Intentionalität aller Akteure“.12 Dieses Konzept von Selbstregulation durch verteilte Intentionalität kommt auch in den unvorhersehbaren Mustern zum Ausdruck, die der Berechnung des Rasters in SimEarth zu Grunde liegen, da jede Kachel die jeweils nächste beeinflusst.

Neuere Simulationen der Erde auf Basis von Klima- und Wettermodellen

Das Jahr 1990 markiert mit SimEarth den Punkt der Verschmelzung von quasi-wissenschaftlicher Computersimulation der Erde und Computerspiel.13 Diese Verschmelzung hat sich seitdem in unterschiedlich starken Graden in eine der beiden Richtungen fortgesetzt. Eine wichtige Rolle spielten hierbei die Erkenntnisse und immer komplexer werdenden Modelle der Klimatologie. Denn parallel zu den Simulationen des Erdsystems auf Grundlage der Systemdynamik und Kybernetik hat der Einsatz von Computern seit den 1950er Jahren auch die Weiterentwicklung von Klima- und Wettermodellen vorangetrieben. Mit Hilfe digitaler Datenverarbeitung überführte man die heterogenen und unregelmäßigen Messungen durch die Instrumente der nationalen Wetterdienste und Metereolog:innen in konsistente, globale Datensätze.14

Für die computergestützten Wettervorhersagen (engl. numerical weather predictions, NWPs) entstand auf diese Weise ein standardisiertes dreidimensionales Gitter unseres Planeten, ein computergeneriertes Ideal der Erde – „die Welt in einer Maschine“.15 Aktuellere Varianten ‚spielbarer‘ Simulationen des Erdsystems bilden in je unterschiedlicher Weise Teile dieses computergenerierten Ideals unseres Planeten ab. Zu den Simulationen, die stärker in die wissenschaftliche und weniger in die spielbare Richtung tendieren, zählen etwa Computerprogramme für die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Klimawandel und seinen Folgen. Im Unterschied zu rein im wissenschaftlichen Kontext genutzten Programmen verfügt solche Software häufig über anwendungsfreundlich gestaltete Interfaces, die in Aufbau und Form mitunter an Computerspiele erinnern.

Build Your Own Earth: Daten analysieren wie bei einem Strategiespiel

Ein Beispiel hierfür ist die Browser-basierte Lernsoftware Build Your Own Earth (2017) der University of Manchester, die es ihren Anwender:innen ermöglichen möchte, „das vergangene, gegenwärtige und zukünftige Klima der Erde zu erforschen“.16 Das augenfälligste Merkmal von Build Your Own Earth ist eine Animation des sich drehenden Planeten im Startbildschirm, dessen Oberfläche sich je nach Status der Simulation ändert. Darunter gibt es ein Balkendiagramm mit den Eigenschaften der Erdumlaufbahn und der Zusammensetzung der Atmosphäre. Zudem erhält man auf einer Karte eine animierte Darstellung der klimatischen Veränderungen im Jahreszyklus für die Atmosphäre, Eis- und Landflächen und den Ozean.

Der Startbildschirm von Build Your Own Earth mit einer animierten Darstellung des Planeten für die aktuell ausgewählte Erdsimulation (Bildquelle: eigener Screenshot)

Build Your Own Earth basiert auf einem speziellen Modell für das Erdklima, dem Fast Ocean Atmosphere Model (FOAM), das für effiziente und schnelle Simulationen optimiert ist.17 Anders als etwa in SimEarth läuft die Simulation in Build Your Own Earth aber nicht in Echtzeit ab. Die Kapazität heutiger Rechner reicht nicht aus, aktuelle Klimamodelle so schnell zu verarbeiten, selbst die effizientesten unter ihnen sind zu komplex.18 Stattdessen haben die Entwickler:innen vorab 50 Simulationen von Erdplaneten durchgeführt und ihre Ergebnisse visualisiert.19 Um einen Planeten in Build Your Own Earth zu ‚erschaffen‘, wählt man zwischen drei Kategorien – gegenwärtige, vergangene und außerirdische Erden. Über Auswahlmenüs lassen sich verschiedene Parameter einstellen. Damit man einen besseren Eindruck von den unterschiedlichen Auswirkungen erhält, kann man zum Vergleich auch eine zweite Erde anlegen.

Zwar handelt es sich bei Build Your Own Earth um kein Computerspiel, doch ermöglicht und fördert das Programm eine gewisse ‚Spielbarkeit‘. Diese umfasst zum einen das Experimentieren mit den verschiedenen Parametern und das Explorieren ihrer Auswirkungen. Zum anderen belohnt die grafische Oberfläche ihre Nutzer:innen mit sofortigem Feedback in Form von Animationen und sich ändernden Daten. In seiner ganzen Anmutung ähnelt Build Your Own Earth dadurch Strategiespielen oder spielartigen Simulation, bei der die Analyse und Interpretation von Diagrammen, Graphen oder Karten ebenfalls eine große Rolle spielt.20

Die grafische Oberfläche belohnt mit sofortigem Feedback in Form von Animationen und sich ändernden Daten.

Durch seinen spielerisch-explorativen Umgang mit der Simulation der Erde zielt Build Your Own Earth auf einen gewissen Lerneffekt ab. Es geht darum, die Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf das System der Erde zu verstehen. Doch legt das Programm keine unmittelbaren Schlüsse nahe, die sich aus diesem Lerneffekt ziehen ließen – etwa die konkreten Maßnahmen, die die Menschheit ergreifen muss, um die Klimakrise zu bewältigen. Solche Schlüsse bleiben der eigenen Reflexionsfähigkeit überlassen.

Fate of the World und Imagine Earth: Stärkeres Bewusstsein für Maßnahmen gegen Klimawandel

Genau dort setzen das rundenbasierte Strategiespiel Fate of the World (2011) und das Echtzeit-Aufbau-Spiel Imagine Earth (2021) an. Hier geht es um die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Komponenten im Kontext des Klimawandels, die man in der Rolle als globale:r Entscheidungsträger:in berücksichtigen sollte. Dafür greifen beide Spiele ebenfalls auf Erkenntnisse und Modelle zurück, die die Auswirkungen des Klimas auf das System der Erde betreffen.21

In Fate of the World muss man die Klimakrise meistern, indem man bestimmte Ziele erfüllt – etwa die Begrenzung des globalen Temperaturanstieges auf zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau. Dabei gilt es, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen dem Schutz der Ressourcen auf der Erde und den Bedürfnissen einer ständig wachsenden Weltbevölkerung, die immer mehr Nahrung, Energie und Lebensraum benötigt. Dazu führt man pro Spielrunde Subventionen in insgesamt zwölf Regionen auf der Erde durch, die durch Spielkarten symbolisiert werden. Kennzahlen aus unterschiedlichen Kategorien zu den einzelnen Regionen – etwa soziale, wie der Grad der Alphabetisierung, oder umweltpolitische, wie Emissionen – geben Hinweise auf den eigenen Erfolg.

Mögliche grüne Subventionen für die Erdregion Nord-Afrika in Fate of the World (Bildquelle: store.steampowered.com)

Wie schon bei der Lernsoftware Build Your Own Earth spielen auch bei Fate of the World Daten und Zahlen eine große Rolle. Die Interface-Elemente des Spiels konfrontieren uns mit Karten, Infokästen und Diagrammen. Eine weitere Parallele ist die Darstellung des blauen Planeten als zentrales grafisches Element. Während des gesamten Spiels befindet sich ein dreidimensionales Modell der rotierenden Erde mit Tag- und Nachtzyklus im Hintergrund. Wechselt man zum Kontrollmenü für eine der Erdregionen, wechselt auch die Perspektive auf den Planeten im Hintergrund auf die entsprechende Region.

Ein erdähnlicher Planet ist auch in Imagine Earth jederzeit zu sehen. Allerdings nicht als passives Betrachtungsobjekt, sondern als manipulierbare Spielfläche. Man agiert als einer von mehreren Konzernen, die einen neuen Planeten kolonisieren, nachdem die Erde selbst nicht mehr bewohnbar ist. Gebäude platziert man dabei um das Zentrum der Kolonie herum innerhalb eines Radius und auf Basis des vorgegebenen Rasters. Denn eine Besonderheit in Imagine Earth ist die Unterteilung der Erdoberfläche in dreieckige Bereiche – wie Polygone, aus denen sich die Kugel des Planeten zusammensetzt.

Bau eines Kohlekraftwerks auf einem Eisplaneten in Imagine Earth (Bildquelle: imagineearth.info)

Eine weitere Besonderheit ist, dass man während der Besiedelung des Planeten stets die globalen Emissionen, den Temperaturanstieg und das Risiko für diverse Naturkatastrophen im Blick behalten muss. Waldbrände, Wüstenbildung, Tornados oder Stürme stellen als Folgen globaler Erderwärmung eine ständige Gefahr dar. Die Simulation unterscheidet dabei acht wesentliche Biome mit unterschiedlicher Kompensationsfähigkeit gegenüber Luft- und Bodenverschmutzung. Setzt man zu stark auf fossile Energieträger, können Ausgleichszahlungen an die nachhaltiger wirtschaftende Konkurrenz fällig werden. Auf einem Weltkongress entscheiden Vertreter:innen der Konzerne über Steuern und Subventionen, Fonds, Strafen und Hilfen. Erfolgreich ist nur, wem es gelingt, Wachstum und Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen.

Fate of the World und Imagine Earth sind Spiele, die beunruhigen können, da sie uns mit den realen oder zumindest erwartbaren negativen Auswirkungen des Klimawandels konfrontieren. Gleichzeitig nötigen sie uns eine strategische und ökonomische Herangehensweise ab. Strategiespieltypisch liegt ihr Fokus auf Auswerten, Analysieren, Planen, Vergleichen, Investieren – etwas, das einem allgemeinem Verständnis von Spaß eher zuwiderläuft. In diesem Sinne ließen sich beide Spiele als Alarming Games und Boring Games bezeichnen. Dabei handelt es sich um zwei Kategorien, die die Spieleforscherin Bonnie Ruberg für ihr Konzept von No Fun aufmacht.22

Spaß tritt hier gegenüber anderen Erfahrungen in den Hintergrund, wodurch sich eine transformative Kraft entfalten kann.

Ruberg weist darauf hin, dass bestimmte Spielweisen Spaß als etabliertes Paradigma der Unterhaltungsindustrie produktiv in Frage stellen. Spaß tritt hier gegenüber anderen Erfahrungen in den Hintergrund, worin auch eine transformative Kraft liegen kann, die sich über die Grenzen des Spiels hinaus entfalten kann.23 Im Falle von Fate of the World und Imagine Earth wäre das etwa ein stärkeres Bewusstsein für die Auswirkungen des Klimawandels und ein besseres Wissen um die konkreten wirtschaftspolitischen Maßnahmen dagegen.

Das Raster erschwert eine ästhetische Wahrnehmung von Natur

Die Darstellung des blauen Planeten – ob als direkte Spielfläche oder passive Spielkarte – erfüllt hierbei gleich zwei Funktionen: Sie schöpft zum einen aus ihrer Wirkung als Symbol für die Einheit unserer Welt und die Einzigartigkeit des Erdsystems. Zum anderen verspricht die Perspektive auf den Erdball eine allumfassende Übersicht über sämtliche Ereignisse und getroffenen Maßnahmen. Doch ist es gerade diese Übersicht, die einer möglichen transformativen Kraft auch entgegenwirkt kann, und zwar je stärker sich die prozedurale Rhetorik der Simulation entlang eines Rasters oder Schemas entfaltet.

Der Spieleforscher Ian Bogost macht darauf aufmerksam, dass sich die Rhetorik eines digitalen Spiels nicht nur aus seinen semiotischen Elementen, wie etwa Grafik oder Text, sondern auch aus seiner Prozeduralität ergibt, also seinen Regeln und Abläufen.24 Das Raster steht zwischen diesen beiden Kategorien: Es ordnet das Spiel sichtbar an, ist aber auch Teil der Regeln, die bestimmte Möglichkeitsräume für das Spiel schaffen.25 Von den Kacheln in SimEarth, über den Regionen in Fate of the World, den Polygonen in Imagine Earth, bis zu den verschiedenen Kartographien in Build Your Own Earth – mit einem zunehmenden Abstraktions- und Schematisierungsgrad schwindet auch die Anteilnahme an den simulierten Geschehnissen. Der bloße Blick auf ein Raster oder Schema, das Land, Wasser, Lebewesen und bestimmte Ereignisse repräsentiert, lässt eine ästhetische Wahrnehmung von Umwelt und Natur kaum noch zu.26

Gaia Games spiegeln das Ringen um die Kontrolle eines aus den Fugen geratenen Systems

In den spielbaren Simulationen der Erde erleben wir unseren Planeten aus einer Weltraum-Perspektive, wie schon damals die Astronauten der Apollo 8. Durch den übersichtlichen Blick auf die Welt sollen wir das System der Erde in seiner komplexen Fragilität verstehen lernen, um es anschließend vor uns und für uns selbst zu schützen. Von Die Grenzen des Wachstums über die Gaia-Hypothese bis hin zu aktuellen Klima- und Wettermodellen – die verschiedenen Versuche, die Erde zu simulieren, kennzeichnet ganz grundlegend das menschliche Ringen um die Kontrolle eines mitunter aus den Fugen geratenen dynamischen Systems. In ihnen spiegelt sich unser ambivalentes Verhältnis zur Natur, die wir bewahren aber auch beherrschen wollen. Nirgendwo sonst können wir diese Spannung deutlicher selbst erfahren, als in den spielbaren Varianten dieser Versuche – den verschiedenen Gaia Games mit ihren je eigenen Schematisierungen und Abstraktionsgraden unserer Welt.


Fußnoten:

  1. vgl. Edwards 2010 1 f.
  2. vgl. ebd., 367 f.
  3. vgl. ebd. ff.
  4. vgl. Schrape 2013, 6
  5. vgl. ebd., 5
  6. vgl. Smith 2017, 108
  7. Dies liegt daran, weil das Raster nach dem Prinzip eines zellulären Automaten funktioniert (vgl. Schrape 2013, 10 f.). Nach diesem Berechnungsmodell ist jede Zelle eines Rasters darauf programmiert, die Eingaben ihrer Nachbarzellen zu verwenden und nach bestimmten Regeln zu verarbeiten. Das Zusammenspiel einer großen Anzahl solcher Zellen kann zu unvorhersehbaren Mustern führen.
  8. Der Ursprung von God Games geht auf das ein Jahr vor SimEarth erschienene Spiel Populous (1989) zurück, in welchem man als Gott die Geschicke eines Volkes im Kampf gegen andere Völker lenkt.
  9. Ein erfolgversprechender Umgang mit der simulierten Erde besteht vielmehr darin, sie mit Bedacht und Geduld zu befähigen, sich in eine bestimmte Richtung zu entwickeln. Die Position, die man hierbei einnimmt, entspricht weniger einem Gott, als vielmehr einer Gärtnerin (vgl. Schrape 2013, 16).
  10. So spielt Gaia ihre große Nachkommenschaft von Bestien und Göttern immer wieder gegeneinander aus und stachelt sie dazu an, sich gegenseitig zu töten (vgl. Latour 2017, 82 f.).
  11. vgl. ebd., 84 ff.; Dem Literaturwissenschaftler Bruce Clark zufolge lässt sich die Gaia-Hypothese daher eher der Kybernetik zweiter Ordnung zuordnen. Aus dieser Perspektive handelt es sich bei Gaia um ein selbstreferenzielles, sich selbst kontrollierendes System – ökologisch offen für ständige Veränderung und operativ geschlossen für eine autonome Dynamik der Selbsterhaltung (vgl. Clark zit. n. Schrape 2013, 8 f.).
  12. Latour 2017, 98; eigene Übersetzung
  13. Neben SimEarth lässt sich dies auch an der, im selben Jahr veröffentlichten, Simulation Balance of the Planet (1990) festmachen.
  14. vgl. Edwards 2010, 188
  15. ebd., 253; Diese einheitlich gerasterten Daten der gesamten Erde halfen schließlich auch Klimawissenschaftler:innen dabei, klimatische Veränderungen nicht nur besser zu verstehen, sondern auch sehr weitreichend zu prognostizieren.
  16. Schultz et. al. (2017), 1617; eigene Übersetzung
  17. FOAM berücksichtigt die sich wechselseitig beeinflussenden Zirkulationen der Atmosphäre und des Ozeans sowie die Physik der Eis- und Landoberflächen mit unterschiedlich aufgelösten Rastern und Ebenen (vgl. ebd., 1618 f.).
  18. vgl. ebd.
  19. Die simulierte Zeitspanne lag je nach Variation zwischen 50 bis zu 300 Jahren und wurde so lange durchgeführt, bis die jeweilige Erde ein klimatisches Gleichgewicht erreicht hatte (vgl. ebd. ff.).
  20. vgl. Smith 2017, 108 f.; Smith führt als Beispiel für spielähliche Tools mit Fokus auf Umwelt und Klima den 2050 Calculator des britischen Ministeriums für Energie und Klimawandel an.
  21. Die Berechnungen der verschiedenen Szenarien in Fate of the World basieren auf dem Klima-Modell des britischen Klimaforschers Dr. Myles Allen. Die Welt- und Klimasimulation in Imagine Earth orientiert sich grob am wissenschaftlichen Kenntnisstand, ihr liegt jedoch kein wissenschaftliches Simulationsmodell zugrunde.
  22. vgl. Ruberg 2015, 118 ff.
  23. vgl. ebd., 108 ff.
  24. vgl. Bogost zit. in Smith 2017, 106
  25. vgl. ebd. zit. in ebd.
  26. vgl. Smith 2017, 107 ff.

Literatur:

Ludographie:

  • Balance of the Planet (1990 Chris Crawford)
  • Build Your Own Earth (2017 The University of Manchester)
  • Fate of the World (2011 Red Redemption Ltd)
  • Imagine Earth (2021 Serious Brothers)
  • Populous (1989 Electronic Arts)
  • SimCity (1989 Maxis/Electronic Arts)
  • SimEarth (1990 Maxis)

3 Kommentare zu „Gaia Games: Spielbare Simulationen der Erde

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