Play-to-Earn: Vom Bullshit Game zum Bullshit Job

In den nächsten 12 Jahren werden meine Kinder keinen Hochschulabschluss brauchen. Sie müssen nur wissen, wie man in virtuellen Welten Werte schöpft, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Ein Spieler von Axie Infinity im Interview auf dem offiziellen Blog

Mit dem Spielen eines Spiels auf dem Computer oder Smartphone Geld verdienen – das ist das große Versprechen von Play-to-Earn. Spiele aus diesem relativ neuen Genre ermöglichen den Handel mit einmaligen digitalen Gegenständen, deren Besitz im Internet über das Blockchain-Verfahren durch kryptografische Verschlüsselung eindeutig nachweisbar sind. Dafür nutzen sie die sogenannten Non-Fungible Tokens (NFTs) und Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum. Eines der bekanntesten Play-to-Earn-Spiele im Jahr 2022 ist das von der vietnamesischen Firma Sky Mavis für PC und Smartphone entwickelte Axie Infinity (2018). Das Spielprinzip von Axie Infinity erinnert an die Pokémon-Spiele. Man trainiert virtuelle Kreaturen, genannt Axies, und tritt mit ihnen in Kämpfen gegen die Axies anderer Spieler:innen an. Doch möchte man das Versprechen von Play-to-Earn in Axie Infinity eingelöst wissen, bleibt es nicht bei gelegentlichen Sitzungen – das Spiel wird dann zu Arbeit.

Digitale Spiele waren immer schon auf vielfältige Weise mit Arbeit verbunden.1 Am Beispiel von Axie Infinity wird deutlich, dass Play-to-Earn diese Verbindung in Richtung postfordistischer und neo-feudaler Logiken weiter konsequent auslotet. Unter der Bedingung, dass die Arbeit im Spiel zur realen Erwerbsarbeit wird, zeigt sich Play-to-Earn als Quintessenz dessen, was der Kulturanthropologe und bekennende Anarchist David Graeber als Bullshit Job bezeichnet hat – eine bezahlte Tätigkeit, die vollkommen sinnlos ist und Menschen, die von ihr abhängig sind, in die Verzweiflung treibt.2

Mit Play-to-Earn ist die reinste Form eines Bullshit Jobs möglich geworden

Für seine Analyse des Phänomens wertete Graeber eine ganze Reihe an Beschreibungen aus, die Menschen von ihrem Beruf machten und dabei der Überzeugung waren, dass ihre Tätigkeit keinen oder nur einen geringen Nutzen für die Gesellschaft hat.3 Die Pointe läuft dabei auf die Offenlegung einer Paradoxie im modernen Kapitalismus hinaus: In gleichem Maße, wie Arbeitende insbesondere in prekären Beschäftigungsverhältnissen einem immer weiter steigenden Effizienzdruck ausgesetzt sind, nimmt die Effizienz im mittleren Management der Unternehmen oder staatlicher Institutionen kontinuierlich ab. Dies liegt nach Graeber vor allem an dem zunehmenden Anteil von Verwaltungsaufgaben. Denn im Zuge des Übergangs von der Industrie- in die Dienstleistungsgesellschaft und durch die Digitalisierung haben sich immer mehr bürokratische Prozesse und Strukturen herausgebildet, die Menschen von ihren eigentlichen Aufgaben abhalten. Gleichzeitig würden Vorgesetzte von ihren Angestellten in der Regel erwarten, so zu tun, als wären sämtliche Aspekte ihrer Beschäftigung grundsätzlich sinnvoll. Graeber stellt fest, dass auf diese Weise immer mehr Tätigkeiten einer zunehmenden ‚Bullshitisierung‘ ausgesetzt sind.4

Im Zuge des Übergangs von der Industrie- in die Dienstleistungsgesellschaft haben sich immer mehr bürokratische Strukturen herausgebildet, die Menschen von ihren eigentlichen Aufgaben abhalten.

Was aber, wenn eine bezahlte Tätigkeit nicht einmal vorgeblich irgendeinen Nutzen hat, außer der Bezahlung? Wenn diese also nicht nur für die Person, die sie ausführt, sondern für alle sofort ersichtlich vollkommen sinnlos ist und dennoch regelmäßig unter zumeist prekären Verhältnissen ausgeführt werden muss? Mit dem Prinzip von Play-to-Earn ist die reinste Form eines Bullshit Jobs möglich geworden. Sie manifestierte sich im Jahr 2020, als viele junge Philippiner:innen im Zuge einer durch die Corona-Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise ihre Erwerbsarbeit verloren. Auf der Suche nach einer alternativen Einkommensquelle stießen sie auf das NFT-basierte Computerspiel Axie Infinity – eine Entdeckung, die sich wie ein Lauffeuer im ganzen Land verbreitete. Nationale Nachrichtenkanäle griffen das Thema auf und sorgten so für einen hohen Bekanntheitsgrad des Spiels. Die Folge war eine wachsende Akzeptanz von Play-to-Earn-Spielen und NFTs in der philippinischen Gesellschaft.5

Axie Infinity: Realistische Gewinnchancen erfordern hohe Investition

Durch das Gewinnen von Kämpfen in Axie Infinity erhält man Smooth Love Potion (SLP) – eine der beiden Spielwährungen. Die andere Währung sind die seltenen Axie Infinity Shards (AXS). AXS sind vergleichbar mit Aktien. Durch ihren Erwerb erhalten Spieler:innen Stimmrechte an der Entwicklung von Axie Infnity. Mit Geld in der Spielwährung kann man zum einen Gegenstände im Spiel kaufen oder neue und damit stärkere Axies züchten. Jede der Kreaturen verfügt über ein einzigartiges Profil mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen. In Form von NFTs sind sie auf dem Marktplatz des Spiels handelbar. Man kann SLP oder AXS aber auch auf verschiedenen Kryptowährungsbörsen verkaufen. Auf diese Weise ist es möglich, mit dem Spiel Geld in der eigenen Landeswährung zu verdienen.

Auf dem Markplatz von Axie Infinity werden NFTs in Form von Axies und anderen Spielobjekten gehandelt (Bildquelle: eigener Screenshot)

Axie Infinity steht in der Kritik, wie ein Schneeballsystem zu funktionieren, da die Ökonomie des Spiels heute unter anhaltend starker Inflation und der infolge nachlassenden Zahl an Spieler:innen leidet. Im Zuge eines allgemeinen Crashes der Kryptowährungsbörsen in 2021 und 2022 verlor die Währung SLP beinahe 100 Prozent ihres Wertes. Der enorme Wertverlust ist auch auf einen Hack von Ronin zurückzuführen, der angepassten Blockchain von Axie Infinity. Im März 2022 entwendeten Hacker:innen dem Axie Infnity-Netzwerk digitales Geld mit einem Gegenwert von etwa einer halben Milliarde Dollar.

Der Kurs von SLP zu Euro in 2022 weist Schwankungen und einen hohen Wertverlust auf (Bildquelle: coinmarketcap.com)

Die meisten der 1,5 Millionen Nutzer:innen von Axie Infinity kommen aus Ländern des globalen Südens. Den größten Anteil stellen mit über 40 Prozent die Philippinen.6 Der Erfolg von Axie Infinity in ärmeren Regionen der Welt erscheint zunächst widersprüchlich. Denn um überhaupt teilnehmen zu können, ist der Besitz von mindestens drei Axis Voraussetzung. Der Preis eines Axies richtet sich nach dessen Stärke: Je teurer ein Axie gehandelt wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit, Kämpfe zu gewinnen und damit schließlich Geld zu verdienen. Für realistische Gewinnchancen im Spiel ist also bereits zu Beginn eine verhältnismäßig hohe Investition notwendig. In Zeiten starker Kryptomärkte lag diese teilweise bei weit über 1.000 Dollar, während sich die Kosten heute auf etwa 300 Dollar beziffern. Da eine solche finanzielle Hürde die Möglichkeiten vieler Spieler:innen übersteigt, hat sich die Community von Axie Infinity das Programm der sogenannten ‚Scholarships‘ ausgedacht. Darin verleihen Spieler:innen, die man als ‚Manager‘ bezeichnet, ihre eigenen Axies an Spieler:innen ohne Startkapital, den ‚Scholars‘.7

Im Spiel existiert ein sich doppelt verstärkendes Machtgefälle

Bei Axie Infinity lassen also diejenigen, die über die Produktionsmittel verfügen – die Axies, mit denen sich in Kämpfen SLP ‚erwirtschaften‘ lässt – andere Spieler:innen, die auf einen Lohn angewiesen sind, für sich arbeiten. Hierin spiegelt sich das, was Graeber als Manager-Feudalismus bezeichnet. Um die Machtstrukturen zu beschreiben, die Bullshit Jobs ermöglichen und aufrechterhalten, zieht Graeber den Vergleich zum Feudalismus im Mittelalter. Hochrangige Manager vergleicht er mit Feudalherrschenden, niedrig rangige Angestellte gleichen Lakeien, Bediensteten oder Untergebenen.8

Zwischen dem Manager-Feudalismus und dem mittelalterlichen Feudalismus gibt es nach Graeber jedoch einen entscheidenden Unterschied: Den Feudalismus im Mittelalter charakterisierte noch das Prinzip der Selbstbestimmung im Bereich der Produktion – Arbeitende besaßen ihre eigenen Gehöfte, Felder und Werkzeuge. Doch der Manager-Feudalismus entziehe den Produzierenden ihre Mittel. Dies geschehe ganz in der Tradition der klassischen Erwerbsarbeit seit Beginn der Industrialisierung, bei der die Kapitalisten über die Produktionsmittel verfügen. Anders als im klassischen Industriekapitalismus gehe es beim Manager-Feudalismus jedoch kaum noch um die Herstellung von physischen Dingen, sondern immer stärker um Prozesse der Aneignung, Verteilung und Zuweisung von finanziellen Mitteln.9

Sofern sie es als Erwerbsquelle nutzen, sind Spieler:innen aus ärmeren Regionen der Welt existenziell vom Spiel abhängig – und damit finanziell erpressbar.

Neben der Konzentration des Kapitals und seiner Verteilungs- und Zuweisungshoheit auf Seiten der Manager etabliert die Machtstruktur in Axie Infinity zusätzlich eine Form von Neo- oder im Wortsinne Manager-Kolonialismus. Da Spieler:innen aus ärmeren Regionen wie den Philippinen nicht über ausreichend Startkapital verfügen, sind sie darauf angewiesen, zumeist für die im Vergleich reichen Spieler:innen aus den westlichen Industrieländern zu arbeiten. Im Spiel existiert also ein sich doppelt verstärkendes Machtgefälle von reichen gegenüber armen Spieler:innen und zugleich von Spieler:innen aus dem globalen Norden gegenüber solchen aus dem globalen Süden. Im Unterschied zu Free-to-play-Spielen, bei denen sich wohlhabende Spieler:innen ebenso einen Vorteil im Spiel erkaufen können, erfahren Spieler:innen von Axie Infinity aus ärmeren Regionen der Welt aber nicht nur spielerisch einen Nachteil. Sofern sie es als Erwerbsquelle nutzen, sind sie existenziell vom Spiel abhängig – und damit finanziell erpressbar.

Ausbeutung durch Spiele bereits in chinesischen ‚Gold-Farmen‘

Die Kopplung des Lebensunterhalts an ein digitales Spiel – also Spielen als eine Form von Erwerbsarbeit – ist jedoch keine neue Entwicklung. Bereits zu Beginn der Nuller Jahre arbeiteten zu einem überwiegenden Großteil Chines:innen als sogenannte ‚Gold-Farmer‘ in eigens gegründeten Firmen. Diese reichten in ihrer Größe von kleinen Shops zu fabrikartigen Hallen mit hunderten von Computern und Angestellten. Die Aufgabe bestand darin, das Spielgeld beliebter MMOs (Massively Multiplayer Online Games) zu ‚farmen‘, um dieses anschließend auf zumeist externen Plattformen zu verkaufen. Chinas ‚Gold-Farmen‘ entstanden zunächst parallel zur steigenden Beliebtheit südkoreanischer MMOs wie Lineage (1998) oder Ragnarok Online (2002). Doch das mit Abstand gefragteste und zugleich unter westlichen Spieler:innen beliebteste MMO zu dieser Zeit war World of Warcraft (2004). So konzentrierten sich immer mehr Farmen auf dieses Spiel.10

Die Arbeiter:innenschaft bestand hauptsächlich aus Menschen aus ländlichen Regionen, die in Hoffnung auf einen Arbeitsplatz in die Städte und Ballungszentren zogen. Die Gold-Farmen wiederum wurden häufig von ehemaligen Studierenden betrieben, die sich durch den neu aufkommenden Geschäftszweig viel Geld erhofften. Sie erwarben Accounts in den Spielen und trieben ihre Arbeiter:innen dazu an, täglich in Zwölf-Stunden-Schichten virtuelles Gold zu erspielen – eine Routine-Arbeit, die man im ursprünglichen MMO-Jargon auch als Grinding bezeichnet. Einige Firmen boten sogar eine Verpflegung und Schlafplätze an, um für möglichst reibungslose Schichtübergaben zu sorgen. Die Arbeiter:innen mussten in der Regel bestimmte Gold-Quoten erfüllen, die oft schwierig zu erreichen waren, was zu einem Wettbewerb untereinander führte und die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes verstärkte.11

Grinding in Play-to-Earn: Eine Fließbandarbeit, für die kein Mensch mehr notwendig ist

Ähnliche Mechanismen haben sich auch heute bei Axie Infinity etabliert. Die weitestgehend unregulierte Erwerbsarbeit durch Play-to-Earn Games12 öffnet Formen der Ausbeutung und Drangsalierung Tür und Tor. Wie die Besitzer:innen der Gold-Farmen, geben auch die Manager in Axie Infinity üblicherweise Quoten vor. Dadurch setzen sie ihre Scholars unter Druck und treiben sie zu Überstunden an.13 Die Gewinnbeteiligung der Scholars hängt vom Gutdünken ihres Managers ab – im schlechtesten Fall beträgt diese nur 10 bis 20 Prozent. Manchmal kommt es sogar vor, dass sich Manager gänzlich weigern, den vereinbarten Anteil auszuzahlen.14 Doch trotz der teilweise geringen Gewinnbeteiligung hat sich die Arbeit im Spiel für Menschen aus ärmeren Regionen bei hohen Krypto-Kursen gelohnt: Der Stundensatz für das Spielen von Axie Infinity lag während der Corona-Pandemie zeitweise über dem Mindestlohn in Portugal, der Türkei und den meisten asiatischen, südamerikanischen und afrikanischen Ländern.15

Die meisten Teilnehmenden einer Umfrage empfanden das permanente Grinding nach einer gewissen Zeit als monoton, langweilig und deprimierend.

Die meisten Teilnehmenden einer Umfrage unter philippinischen Spielern16 sahen daher einen Vorteil in der Möglichkeit, das Spiel zu einer alternativen Einkommensquelle zu machen. Doch nach anfänglichen Flow-Erlebnissen durch eine moderate Form von Stress empfanden sie das permanente Grinding nach einer gewissen Zeit als monoton, langweilig und deprimierend. Sie nahmen das Spiel zunehmend als eine dauernde Abfolge aus Gewinnsträhnen und Verlustphasen wahr, deren Eintreten sich irgendwann relativ gut prognostizieren ließ.17 Die Tätigkeit glich mehr und mehr einer Fließbandarbeit, für die im Prinzip kein menschliches Wesen mehr notwendig ist. Eine Analyse verschiedener Play-to-Earn-Spiele zieht deshalb auch einen Vergleich zu Clicker- oder Idle Games – Spiele also, die eine Zeit lang ohne menschliche Interaktion fortschreiten können und bei denen das Klicken oder Tippen auf die Oberfläche des Spiels die Hauptmechanik darstellt.18

Zwei Spieler:innen von Axie Infinity treten mit ihren jeweils drei Axies gegeneinander an (Bildquelle: metahub.info)

Grinding erfordert in der Regel keine Geschicklichkeit oder besonderen Fähigkeiten. Die Formel lautet schlicht: Belohnung in Form von Geld oder Gegenständen im Spiel gegen den Einsatz von Lebenszeit. In klassischen Spielen stellt es damit eine Verlässlichkeit in Aussicht, die im realen Arbeitsleben mit seinen prekären Beschäftigungsverhältnissen und finanziellen Unsicherheiten immer seltener gegeben ist. Arbeit lohnt sich hier wieder: Im Grind kommt „eine Sehnsucht nach dem Versprechen des Leistungsprinzips“ zum Ausdruck, das „durch die Erosion fordistischer Sicherheiten scheinbar immer weiter abhandengekommen ist“19.

NFT-Spiele wie Axie Infinity übertragen die Unsicherheit im postfordistischen Kapitalismus auf das digitale Spiel für all jene, die hierin einen Ersatz für Erwerbsarbeit finden.

Das Grinding bei Play-to-Earn unterscheidet sich aber fundamental vom Grinding in klassischen Spielen, wenn es die finanzielle und damit häufig auch existenzielle Abhängigkeit zur Voraussetzung hat. Seine Bedeutung verkehrt sich ins genaue Gegenteil, sobald es zum zentralen Element realer Erwerbsarbeit wird: NFT-Spiele wie Axie Infinity übertragen die Unsicherheit im postfordistischen Kapitalismus auf das digitale Spiel für all jene, die hierin einen Ersatz für Lohnerwerb finden – eine Unsicherheit, welche durch die schwankenden Kurse von Kryptowährungen und mögliche technische Probleme, die den Zugang zum Spiel plötzlich einschränken können, noch verstärkt wird.20

Prekäre Beschäftigungsverhältnisse und postkoloniale Abhängigkeiten

Damit ist Play-to-Earn im Grunde die konsequente Fortführung – und möglicherweise der logische Endpunkt – der Verschränkung von Kapitalismus, Erwerbsarbeit und Spiel seit Beginn des 20. Jahrhunderts. So lässt sich die Arbeitswissenschaft als eine der kulturellen Bedingungen für die Entstehung digitaler Spieler verstehen.21 Ganz im Sinne tayloristischer und behavioristischer Verhaltenssteuerung zielt Axie Infinity auf die „Programmierung des Menschen durch den Computer“22. Gleichzeitig führt es die prekären Beschäftigungsverhältnisse und postkolonialen Abhängigkeiten der Moderne fort.

Es bedarf keiner umfassenden psychologischen Analyse, um nachzuvollziehen, dass eine auf Dauer monotone und durch Unsicherheiten geprägte Tätigkeit Menschen in finanzieller Abhängigkeit früher oder später in die Verzweiflung treibt. „Bullshit Jobs“, wie es Graeber formuliert, verursachen „regelmäßig Gefühle der Hoffnungslosigkeit, der Depression und der Selbstverachtung. Es sind Formen einer seelischen Gewalt, die sich gegen den innersten Kern dessen richtet, was es bedeutet, ein Mensch zu sein“23.

Play-to-Earn-Spiele knüpfen an dem modernen Finanzkapitalismus an, indem sie mit ihren NFTs und Kryptowährungen den Handel mit spekulativen Finanzprodukten zum Inhalt haben.

Als Verschränkung von Erwerbsarbeit und Spiel bringt Play-to-Earn eine bestimmte Klasse von Klick-Arbeitenden hervor, eine neue Art der Playbour Workforce. Dieser Begriff bezeichnet ursprünglich die freiwillige Produktion von Inhalten durch Fans, die die Gaming-Industrie als Quelle für Innovation und Profit ohne Bezahlung abschöpft.24 Bei Axie Infnity und anderen Play-to-Earn-Spielen erfolgt aber keine Wertschöpfung im klassischen Sinne. Spieler:innen schaffen keine Inhalte mehr, die Spielefirmen verwerten können. Stattdessen knüpfen Play-to-Earn-Spiele an dem modernen Finanzkapitalismus an, indem sie mit ihren NFTs und Kryptowährungen den Handel mit spekulativen Finanzprodukten zum Inhalt haben – mit all den Folgen, die aus schwankenden Kursen und ungleicher Verteilung für die Benachteiligten resultieren.

Vom Bullshit Job zum Bullshit Game

Was ist »Arbeit«? Normalerweise sehen wir darin das Gegenteil von Spiel. Das Spiel wiederum wird meist als Tätigkeit definiert, die man um ihrer selbst willen oder zum Vergnügen betreibt. Arbeit ist dagegen eine – in der Regel beschwerliche, sich wiederholende – Tätigkeit, die man nicht um ihrer selbst willen ausführt.

David Graeber: Bullshit Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit.

Play-to-Earn erscheint damit als eine neue Variante von Workification und Gamficiation, bei der sich das Spiel nicht nur einfach der Mechanismen aus der neo-feudalen Arbeitswelt bedient. Es macht jene Mechanismen im Spiel wiederum selbst zum Kern des Lohnerwerbs. Während andersherum die Übertragung von spielerischen Elementen auf heutige Erwerbsarbeit noch einem ökonomischen Ziel dient – als eine Methode der Verhaltensveränderung im Sinne kapitalistischer Wertschöpfung – erfüllt diese in Play-to-Earn-Spielen aber keinen Zweck mehr. Die Handlungen im Spiel werden zum reinen Selbstzweck für alle, die sie täglich ausführen müssen: Spielen um zu arbeiten, arbeiten um zu spielen. Doch gerade dies macht beides zugleich vollkommen sinnlos – vom Bullshit Job zum Bullshit Game und umgekehrt.


Fußnoten:

  1. vgl. Unterhuber 2021.; Fischer/Uhlig 2021
  2. vgl. Graeber 2018
  3. Ob eine Tätigkeit also ein Bullshit Job ist oder nicht, ist gemäß Graebers Definition immer subjektiv von der Person zu beurteilen, die die entsprechende Tätigkeit ausführt (vgl. ebd.).
  4. vgl. ebd.
  5. vgl. Francisco/Rodelas/Ubaldo 2022, S. 1007 ff.
  6. vgl. De Jesus et al., 392
  7. Da es sich bei ‚Manager‘ um eine feste Vokabel innerhalb der Axie Infinity-Community handelt, verzichte ich auf eine eingedeutschte geschlechtergerechte Schreibweise.
  8. ‚Lakeien‘ ist eine von fünf Kategorien von Bullshit Jobs, die Graeber (vgl. ebd.) definiert.
  9. vgl. Graeber 2018
  10. vgl. Deyer-Witheford/de Peuter 2009, 142 ff.
  11. vgl. ebd.
  12. Schon allein die Frage der Besteuerung des erspielten Geldes in Play-to-Earn-Spielen stellt Steuerbehörden weltweit vor eine Herausforderung. In den Philippinen will das Finanzministerium bis 2024 hier für rechtliche Klarheit sorgen.
  13. Es ist jedoch anzunehmen, dass nur eine Minderheit tatsächlich regelmäßig einen großen Teil der Tageszeit im Spiel verbringt. Bei einer Befragung gab lediglich ein Bruchteil der Spielenden an, auf mehr als acht Stunden Spielzeit pro Tag zu kommen. Demgegenüber spielten 80 Prozent höchstens vier Stunden am Tag (vgl. Francisco/Rodelas/Ubaldo 2022).
  14. vgl. De Jeus et al., 398
  15. vgl. ebd., 392
  16. generisches Maskulinum, da ausschließlich männliche Teilnehmer befragt wurden (vgl. ebd., 403)
  17. vgl. ebd., 398, 403 ff.; vgl. auch Francisco/Rodelas/Ubaldo 2022
  18. vgl. Almohsen/Banaweer/Alharthi 2022
  19. Fischer/Uhlig 2021
  20. vgl. De Jeus et al. und Francisco/Rodelas/Ubaldo 2022
  21. Streng nach den Prinzipien des Taylorismus und des Behaviorismus ausgerichtet, trug diese zur Optimierung von Arbeitsabläufen bei. Die Zerlegung von Arbeit in zeitkritische Segmente und deren Notation als Darstellungen von Bewegungsabläufen im Arbeitsraum finden sich später in der Unterteilung digitaler Spiele in Handlungsabfolgen und den ihnen zugewiesenen Tastenbelegungen wieder (vgl. Pias, Claus zit. in Hunterhuber 2021).
  22. ebd. zit. in ebd.
  23. Graeber 2018
  24. vgl. Kücklich zit. n. Deyer-Witheford/de Peuter 2009

Literatur:

Ludographie:

  • Axie Infinity (2018 Sky Mavis)
  • Lineage (1998 NCsoft)
  • Ragnarok Online (2002 Gravity)
  • World of Warcraft (2004 Blizzard Entertainment)

Ein Kommentar zu „Play-to-Earn: Vom Bullshit Game zum Bullshit Job

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s